Aussichten Ins Unermessliche: Perspektivitat Und Sinnoffenheit Bei Caspar David Friedrichs
Hilmar Frank
Aussichten Ins Unermessliche: Perspektivitat Und Sinnoffenheit Bei Caspar David Friedrichs
Hilmar Frank
Die interdisziplinare Untersuchung erweist die Fernblicke Caspar David Friedrichs (1774-1840) als singulare UEbertragung bedeutender Motive des philosophischen und religioesen Denkens des 18. und fruhen 19. Jahrhunderts in die Malerei. Im Werk des deutschen Romantikers kehrt das seit Leibniz aus der bildkunstlerischen Anschauung genahrte Perspektivitatsdenken zur Malerei zuruck und wird zur Grundlage einer neuen Auffassung von Bildraum und Bildstruktur. Friedrichs subtile Kunstmittel, allen voran Ruckenfigur, relationaler Raum und Horizontjenseitigkeit, machen die Standpunktgebundenheit des Sehens, die moegliche Vielfalt der Perspektiven, die notwendige Offenheit des Fernblicks und eben damit die Perspektivitat aller Erkenntnis zum inneren Thema seiner Bilder. Das neue Kunstziel ist aufs engste mit der Metapher von den Aussichten in die Ewigkeit verbunden, jener asthetischen Leerformel, in der das von der radikalen Aufklarung verunsicherte religioese Denken seine Hoffnungen festzuhalten sucht. Von diesen Voraussetzungen her erweist sich Friedrichs Arbeiten mit Bildpaaren als eigenstandige Fortfuhrung der Diskussionen uber die Bestimmung des Menschen, die von Spalding, Abbt und Mendelssohn bis zu Jacobi, Schlosser und Jean Paul der skeptischen Verneinung einer Fortdauer uber den Tod hinaus die Aussichten in die Ewigkeit gegenuberstellen. So ergibt sich der offene Raum, in den Friedrichs Figuren hineinfragen, aus einem Perspektivismus, der dogmatische Glaubensinhalte durch eine vieldeutige Metapher ersetzt, und zugleich aus einem asthetischen Denken, das den Spielraum der Phantasie favorisiert und aufs engste mit der Reverie als Wahrnehmungsform von Landschaft sowie mit Kants Konzeption der asthetischen Idee und dessen Raummetaphorik verbunden ist. In diesem Kontext werden die Aussichten in die Ewigkeit als ein Sonderfall des entgrenzenden Raumdenkens der Moderne kenntlich, fur das die ebenfalls mit der Aufklarung aufkommenden und fur Friedrichs Werk konstitutiven Aussichten ins Unermessliche stehen. Die asthetische Allianz all dieser Momente im Werk des Malers erweist sich als einzigartige Verbindung der vielfaltigen Versuche des 18. Jahrhunderts, die Landschaft in Literatur, Malerei und den Inszenierungen des englischen Landschaftsgartens zum Ausdrucksmedium weltanschaulicher Gehalte zu machen. Schon fruh als kunstlerisches Experimentierfeld verstanden, wird die Landschaftsmalerei in der Auseinandersetzung um Friedrichs Werk, besonders im sogenannten Ramdohrstreit von 1809, endgultig als die fuhrende Gattung bei der Durchsetzung eines offenen Kunstbegriffs erkannt. Diese und weitere Denkmotive werden in ihrer Beziehung zur bildenden Kunst, Literatur, AEsthetik und Kunstkritik und hier vor allem zu den fruhen, der Malerei Friedrichs gewidmeten Texten ausfuhrlich untersucht. Die Belege fur diese historischen Lektureweisen und bildhermeneutischen Initiativen reichen von Karl Schildener, Adam Muller, Heinrich von Kleist und Otto August Ruhle von Lilienstern bis zu Christian August Semler (1767-1825), dem vergessenen Dresdner Kunsttheoretiker, der zwischen Aufklarung und Romantik steht und dessen Kritiken zu Friedrichs fruhen Meisterwerken erstmals analysiert werden. Aufbauend auf Kant, erkennt Semler in Perspektivitat und Sinnoffenheit Grundzuge der Friedrichschen Malerei, und an den Schriften des Malers kann gezeigt werden, dass auch er sich dieser Voraussetzungen bewusst war. Auf quellenkritisch gesicherter Grundlage wird somit ein neuer kategorialer Rahmen fur eine vertiefte Deutung seines Werks moeglich. Zugleich liefert die Untersuchung einen Beitrag zur gegenwartigen AEsthetik, die seit geraumer Zeit Perspektivitat und Sinnoffenheit ins Zentrum ihres Interesses geruckt hat.
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