Excerpt from Die Elemente der Entwicklungslehre des Menschen und der Wirbeltiere: Anleitung und Repetitorium Fu r Studierende und A rzte
Wie in keinem Zeitraum zuvor, hat der Gedanke der Entwicklung die Wissenschaft im 19. Jahrhundert beherrscht, am tiefsten und nachhaltigsten aber die Biologie. Wie sind die Lebewesen entstanden? Wie hat sich ein so hoch zusammengesetzter Organismus wie der Mensch, in welchem sehr zahlreiche Organe wie nach bestimmten Plan harmonisch Zusammenwirken, auf naturlichem Wege gebildet? Solche und ahnliche Fragen sind das Losungswort in der biologischen Wissenschaft der letzten 50 Jahre gewesen. Seit den Tagen, in welchen C. E. von Baer sein Meisterwerk, welchem ich das Motto zu meinem Vorwort entnommen habe, geschrieben hat, ist die Entwicklungslehre ein Hauptfeld anatomischer Forschungen geworden; durch die emsige und auf sicheren Wegen nach bestimmten Zielen gerichtete Tatigkeit zahlreicher, vorzuglicher Forscher ist in einer kurzen Spanne Zeit ein Wissensgebaude entstanden, das einen Physiologen des 18. Jahrhunderts, einen Heiler oder Caspar Friedrich Wolff, wenn sie jetzt wieder unter den Lebenden erschienen, mit Bewunderung erfullen wurde.
Der dem Studium der Entwicklungsprozesse zugewandte Eifer der Forscher hat mehr und mehr auch im Kreise der Studierenden und Arzte ein lebhafteres Interesse fur die Tatsachen und Theorien der Entwicklungslehre wachgerufen. Diesem Umstand glaube ich es nicht zum wenigsten zu verdanken, dass im Laufe von 12 Jahren mein Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen und der Wirbeltiere sechs Auflagen erlebt hat (seitdem ist 1902 die siebente Auflage erschienen), und dass es in die franzosische, englische, italienische und russische Sprache ubertragen worden ist und in den beiden ersteren auch schon eine zweite Auflage erlebt hat.
Das Studium der Entwicklungsgeschichte den Studierenden der Medizin und Naturwissenschaften noch mehr zu erleichtern und es soweit als moglich zu einem allgemeinen Bildungsmittel zu machen, ist die Aufgabe des vorliegenden Buches, welchem ich den Titel: Elemente der Entwicklunglehre gegeben hahe. Bei der Neubearbeitung der letzten Auflagen meines Lehrbuchs ist mir immer mehr zum Bewufstsein gekommen, dass ich in ihm zwei nicht leicht zu vereinende Aufgahen zu verbinden gesucht habe. Einmal sollte es ein Hilfsmittel bei der Erlernung der entwickluDgageschichtlichen Disziplin fur den Ansanger, zugleich aber auch ein wissenschaftliches Buch sein, in welchem der Forscher sich einen Uberblick uber den Stand der wissenschaftlichen Fragen und einen Einblick in neue Errungenschaften verschaffen konnte.
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