Eine Blassblaue Frauenschrift: (Novelle 1941)
Franz Werfel
Eine Blassblaue Frauenschrift: (Novelle 1941)
Franz Werfel
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Leonidas, mit Amelie Paradini aus einer der reichsten Wiener Familien vermahlt und Sektionschef im oesterreichischen Unterrichtsministerium, erhalt im Oktober 1936, wenige Tage nach seinem funfzigsten Geburtstag, einen privaten Brief in blassblauer Frauenschrift. Darin bittet ihn die Judin Vera Wormser, mit der ihn vor achtzehn Jahren, gleich zu Beginn seiner Ehe, wahrend einer Dienstreise nach Heidelberg ein Liebesverhaltnis verbunden hat, um Protektion fur einen jungen begabten Mann. Dieser musse Deutschland aus den allgemein bekannten Grunden verlassen und koenne seine Gymnasialstudien dort nicht fortsetzen. Fur Leonidas, einen der ranghoechsten Beamten OEsterreichs, dessen volle Souveranitat Hitler-Deutschland im Juli-Abkommen 1936 nur formal anerkannt hat, bricht eine Welt zusammen.
Axel Corti hat die Blassblaue Frauenschrift 1983 historisch detailgetreu verfilmt. Matthias Pape (Technische Hochschule Aachen) zeigt in seinem Kommentar, dass die Psyche von Leonidas eine Parabel fur die Historie des Jahres 1936 ist. Werfel hat mit der Novelle, die erin der Kolonie emigrierter deutscher und oesterreichischer Schriftsteller im sudfranzoesischen Sanary-sur-Mer im Jahr 1940 verfasst hat, die tieferen Grunde fur den Untergang des von Bundeskanzler Dollfuss errichteten Standestaats im kulturellen Gedachtnis OEsterreichs festschreiben wollen. Wilhelm Brauneder (Universitat Wien) kommentiert die literarische Widerspiegelung der verfassungsrechtlichen Gestalt des Christlichen Standestaats (1934-1938). Kein anderes dichterisches Kunstwerk hat dieses Verfassungsgebilde sozialpsychologisch vergleichbar eingehend erfasst wie Werfels knappe Novelle.
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